4 Mein Leben, meine Meinungen und die Spitex-Engel
Wabi-Sabi
Da ich vom Pflanzen giessen völlig ausser Atem war, setzten
wir uns erst einmal hin. Frau Bollinger erzählte mir, dass ihre Tochter die
Wohnung auch mit einem Touch Japan eingerichtet hat.» Natürlich nicht so
konsequent wie ihre schöne, stilechte Einrichtung». «Meine Wohnung entspricht
ziemlich dem Wabi-Sabi Prinzip, dem japanischen ästhetischen Konzept der
Wahrnehmung von Schönheit, das eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden ist. Der Tee-Meister
und Zen-Mönch Sen no Rikyū lehrte: „Beschränke alles auf das Wesentliche, aber
entferne nicht die Poesie. Halte die Dinge sauber und unbelastet, aber lasse
sie nicht steril werden.“ Zum Beispiel beauftragte er einen
Novizen, das Laub unter den Bäumen zusammen zu rechen. Akribisch sammelte der
Zen-Anfänger die letzten Bruchstücke der welken Blätter zusammen. Der Meister
schaute sich das Werk an. Offensichtlich nicht zufrieden, ruft er seinen
Meisterschüler und beauftragt ihn den Garten fertig zu machen. Der Mönch geht
von einem Bäumchen zum anderen und schüttelt es leicht. Die herunterfallenden
Blätter bilden unter jedem Bäumchen einen hübschen Kreis. Fertig!»
Im Wartezimmer meines Zahnarztes stand eine schwarze,
fussbetriebene, alte Bohrmaschine und weitere zahnärztliche Quälinstrumente aus
dem letzten Jahrhundert. Ich sagte ihm, dass diese Deko einem nicht gerade die
Angst vor dem bevorstehenden Eingriff nimmt. Ich schlug ihm vor, die Praxis
doch im japanischen Stil einzurichten, ich würde gerne diesen Auftrag ausführen.
Offensichtlich war ich nicht der einzige Patient, dem die grusligen Geräte
Angst vor dem Gang auf den Behandlungsstuhl einflössten. Ohne zu zögern,
stellte er mir 20 000 Franken zur Verfügung um seine Praxis vom Eingangsbereich
bis zum WC zu japanisieren. Die Umgestaltung hatte grossen Erfolg und ich bekam,
von den meist gutbetuchten Patienten des Zahnarztes, Aufträge ihren Wohnungen
ein japanisches Flair zu verleihen und auch Gartenanlagen im japanischen Stil
zu gestalten.
Handbehauene Bodenplatte aus Tessiner Granit, Berg und See
Stein grüner Granit aus Japan, Bachlauf polierter, schwarzer Achat, Umrandung
schwarzer Marmor. Kostenpunkt der Anlage über 100.000 Fr.
«Meine Tochter erfüllt sich einen langgehegten Wunsch, sie fliegt nächste Woche mit ihrem Mann nach Japan. Waren sie auch mal in Japan?» «Ja, ich war einen Monat in einem Zen-Kloster und einen Monat bei einem Kyu-do Meister. Kyo-Do heisst: «Weg des Bogenschiessens». Ich durfte in den heiligen Hallen der alten, kaiserlichen Kyu-do Anlage in Kyoto eine Einführung ins japanische Bogenschiessen geniessen. Als Erstes befahl mir der Meister in gerader Linie dem schwarzen Band einer Tatami-Bodenmatte entlangzulaufen. Schon nach drei Schritten lachte er lauthals und sagte «You walk like John Wayne!». Daraufhin spielte er eine John Wayne Parodie, nun musste ich laut herauslachen. Natürlich zeigte er mir auch, wie man in einem Do-Jo richtig geht, was ich stundenlang üben musste.
Wenn der Kyu-do Meister kurz vor meinem Abschuss quer durchs Do-jo schrie:»Masudà!» (Fehler) wusste ich genau, dass es mich betrifft, und ich begann den langwierigen Ablauf wieder von vorne.
» Masudà ! ! ! »
Soll ich, soll ich nicht?
Ich hatte einen Plan mit der kleinen, unsicheren Frau Scheuber.
Sie hatte endlich Vertrauen zu mir gefasst und ich dachte, ich könnte Frau Scheuber
fragen, ob sie einmal die Woche ausserdienstlich zu einem Gespräch zu mir
kommen möchte. Da mir Frau Scheuber bei ihrem letzten Besuch deutlich gezeigt
hat, dass sie unter ihrem mangelnden Selbstwertgefühl und ihren ständigen
Befürchtungen leidet und gerne wieder eine Therapie machen würde, die aber für
sie viel zu teuer sei.
Ich wollte ich ihr anbieten, dass sie mir denselben
Stundenansatz bezahlt, wie sie bei der Spitex hat. Darüber hinaus solle sie das
Geld nicht mir bezahlen, sondern den Betrag für sich selbst ausgeben, sei es
ein Seidenfoulard ober ein Wellness-Wochenende oder was immer sie sich selbst
zuliebe tun möchte. Als Beweis, soll sie mir Quittungen und Rechnungen zeigen.
Währen Frau Scheuber die Medi richtete, liess ich das Bad
einlaufen. Von meinem neu gekauften Rosen-Crem- Badezusatz liess ich drei
starke Spritzer ins Badewasser, dazu noch ein halbes Verschlusskäppchen
Rosmarin-Schaumbad für einen feinen Duft. Danach ging ich zu Frau Scheuber in
die Küche und unterbreitete ihr vorsichtig mein Ansinnen, jedoch ohne ihr vorerst
den Bezahlmodus zu verraten, der ein typischer psychologischer Winkelzug von
mir ist, damit sie sich mal fragt, was sie den gerne haben möchte, und sie
zwingt, sich selbst mal etwas Gutes zu tun. Nach einer kurzen Denkpause meinte
sie, dass die Spitex Doktrin ausserdienstliche Begegnungen verbiete. »Achtung!
Das Bad läuft über!» rief sie ängstlich. Ich erklärte ihr nochmals, dass jede
Badewanne einen Überlauf hat, und somit gar nicht überlaufen kann. Zu ihrer
Beruhigung schaut ich nach dem Bad. Oh, Schreck! Über der Badewanne türmte sich
ein mindesten 50 cm Schaumdach hoch. Ich musste laut lachen und rief Frau
Scheuber herbei, das Schaumwunder zu betrachten. Sie bestätigte ihre ständig
anwesenden Befürchtungen, es könnte etwas schlimmes passieren, indem sie sagte:
«Da haben sie aber Glück gehabt, dass der Schaum nicht über den Wannenrand auf den
Boden gelaufen ist». Daraufhin
verschwand ich unter der Schaumkrone.