Hat Hannibal wirklich die Alpen überquert?
Zweiter Akt der Tragik-Komödie
Schon in den Voralpen krachts
Welchem Zufluss der Rhone Hannibal danach folgte lässt
Polybios im Dunkeln, wahrscheinlich ist es die Isère. «Nachdem Hannibal in
zehntägigem Marsche gegen 800 Stadien (ca.150 Km) zurückgelegt, begann er die
Alpen zu übersteigen und geriet jetzt in die grössten Gefahren.» Im Gebiet der
Voralpen lebten nämlich Rom treue Bergvölker. «Da zogen die Fürsten der
Allobrigen eine ansehnliche Truppenmacht zusammen und besetzten im Voraus die
günstig gelegenen Punkte, die Hannibal bei seinem Aufsteigen notwendig
durchziehen musste.» Die «Barbaren» brachten Hannibals Heer beträchtliche
Verluste bei und verhinderten immer wieder durch Hinterlist ein Weiterkommen. Polybios
Historíai III. 50-53
Welches ist der Pass der Pässe?
Über welchen Pass Hannibal nach Italien gelangt sein soll, darüber streiten sich die Geister. Die meisten Historiker glauben, dass Hannibal sein Heer über den fast 3.000 Meter hohen Col de la Traversette geführt hat, weil dort Spuren von 2.000 Jahre altem Tierkot und zertrampeltes Gelände gefunden wurden.
Andere meinen über den 2488 Meter hohen Saumpass des Col de Clapier, von dem aus, wie Polybios
berichtet, die Soldaten auf die Poebene blicken konnten.
Bildquelle Wikipedia
Diese Aufnahme soll zeigen, dass die Soldaten vom Col de Clapier aus auf die Po-Ebene schauen konnten, aber vielmehr beweist es, dass die italienischen Alpen den Blick auf die Po Ebene verdecken.
Einige vermuten die Alpenüberquerung weiter nördlich, nahe
dem Matterhorn, und berufen sich auf Abbildungen auf karthagischen
Münzen.
Auch halten Wenige eine Route über den 2081 Meter hohen Col
du Mont Cenis für wahrscheinlich.
Der Col du Petit Saint-Bernard ein 2188 hoher Pass,
der das Isèretal mit dem Aostatal verbindet, wird auch als günstig angesehen.
Auch der Weg über das Pelvoux-Massiv und den Col de Montgenèvre hält man für möglich. Mit 1854 Meter über dem Meeresspiegel wäre dies die niedrigste Verbindung über den Alpenhauptkamm zwischen Frankreich und Italien.
Weiter südliche, bedeutend niedrige Übergänge über die
Voralpen, werden gar nicht in Betracht gezogen.
Die mörderische Alpentraversierung
So oder so war der Aufstieg ein Todesmarsch, den viele
Menschen und Tiere nicht überstanden. Nach neun Tagen "Umwegen und
Irrgängen" erreicht das langgezogene Heer total erschöpft die Passhöhe. Oben
angekommen liegt der Bergsattel tief verschneit, um einen halbwegs trockenen
Rastplatz zu schaffen schaufelten die zuerst Angekommenen den Platz frei. Auf
dem darunterliegenden eisigen Firn (geschmolzener und wieder gefrorener Schnee)
war es wohl kaum gemütlicher.
Nachdem die letzten Nachzügler nach 2 Tagen auf der Passhöhe
angekommen sind, hält Hannibal im «Hinblicke auf die vergangene, als die noch
zu erwartende Drangsal» seine wohl bekannteste Motivierungsrede. Polybios lässt
Hannibal zu den erschöpften Soldaten sagen: «Dass vor ihren Augen das
ausgebreitete Italien liegt, denn also lag das Land zu den Füssen der Berge,
dass bei der Betrachtung von beiden die Alpen wie eine Burg von ganz Italien
schienen. Er zeigte ihnen also die (Po-) Ebene …. bezeichnete ihnen sogar die
Lage von Rom selbst und hob dadurch einigermassen ihren Mut.» Polybius Historíai III 54
Hannibal lässt den Abstieg auskundschaften und erfährt, dass
auf diesem Weg ein Abstieg unmöglich ist. Es gibt aber keinen anderen Weg nach
Rom.
Nachdem das Heer eine verschneite Geröllhalde hinabgestiegen ist, versperrt ein Fels, der nicht umgangen werden kann, den Weg.»…stürzte jeder, der den Weg verfehlt hatte und ausglitt, die Abhänge hinab. Gleichwohl bestanden sie diese Mühsal, da sie schon an dergleichen Übel gewöhnt waren. Als sie aber an eine Stelle gelangten, wo der Weg so eng war, dass weder die Elephanten noch die Lasttiere vorüberkommen konnten, da auf beinahe 1 ½ Stadien ein zuvor schon abschüssiger und jetzt durch einen jüngst erfolgten noch abschüssiger gewordener Fels sich erstreckte: da fiel ihnen aufs Neue der Mut, und die Menge begann zu verzagen. Hierauf liess er seine Leute Hand an`s Werk legen und mit vieler Mühe einen Weg am Abhang hin bahnen. Die Numider (Reitervolk aus der Sahara) befehligte er abwechselnd zum Bahnen des Weges; kaum am dritten Tage nach schwerer Mühsal, vermochte er die Elephanten durchzuführen.» Polybios Historíai III. 55
Titus Livius weiss genau wie das «Bahnen des Weges» vor sich ging. "Nun mussten die Soldaten herbei, über diese Klippe, die einzige, über welche der Weg möglich war, Bahn zu machen: und da der Fels gebrochen werden musste, so türmten sie die in der Nähe gefällten und gekappten ungeheuren Bäume zu einem gewaltigen Holzstosse auf: diesen setzten sie, bei einem sich aufmachenden heftigen Winde, der die Glut beförderte, in Brand, und machten das glühende Gestein durch aufgegossenen Essig mürbe. Den auf diese Art ausgebrannten Felsen öffneten sie mit Werkzeugen und liessen seine Höhen so sanft in mässigen Krümmungen ablaufen, dass nicht allein die Packpferde, sondern auch die Elephanten hinabgeführt werden konnten. Vier Tage brachte man an dieser Klippe zu, während welcher die Lasttiere (und Elefanten) beinahe vor Hunger umkamen" (Titus Livius, Ab urbe condita, Buch 58,37). Dieses Ereignis fand fast 1.000 Meter über der Baumgrenze statt!
«Allein durch die Beschwerlichkeit des Weges und durch den
Schnee verlor er nicht viel weniger Leute, als beim Hinaufsteigen ihren
Untergang gefunden hatten» Polybios Historíai III 54
"Hannibal startete aus dem Durchgang der Rhone mit
achtunddreissigtausend Fusssoldaten und mehr als achttausend Pferden, er verlor
beim Überqueren der Pässe, etwa die Hälfte seiner ganzen Armee, während die
Überlebenden aufgrund der anhaltenden Entbehrungen, die sie erlitten hatten, in
ihrer äusseren Erscheinung und dem allgemeinen Zustand sind sie eher wie Tiere
als wie Männer geworden." (Polybios Historíai 3,
60). Mehrmals mokiert sich Polybios über das ungepflegte Aussehen der Krieger.
Zu seiner und der Überlebenden Ehre, lässt Hannibal eine Säule
(nicht mehr vorhanden) aufrichten, auf der er die Menschen und Tiere beziffert,
die den Marsch über die Alpen überstanden haben. «Von dem libyschen Heere noch
zwölftausend, und von dem iberischen gegen achttausend, Reiter aber im Ganzen
nicht mehr als sechstausend übrig hatte, wie er selbst auf der Säuleninschrift
von Lakinion bezeugt.» Polybios Historíai III 56
Von den 37 Kriegselefanten ist nicht mehr die Rede. Wohl als
einziger hätte Hannibals gut genährter, riesiger, indischer Elefant «Surus» die Tortur überleben
können. Die kleineren nordafrikanischen Waldelefanten (ausgestorben) wären den Strapazen wohl nicht gewachsen gewesen.
Unwahrscheinlicheres und Wahrscheinlicheres
Unwahrscheinlich ist, dass Hannibal als erfahrener Feldherr
losgezogen ist, ohne vorher Spione auszusenden, die alle Alpenpässe
auskundschaften sollen. Danach hätte er sich kaum entschieden über den 3.000
Meter hohen Col de la Traversette durch den ewigen
Schnee zu steigen. Zudem liegt der Pass auch weit über der Laubbaumgrenze,
somit wäre vorauszusehen, dass die Elefanten tagelang ohne Nahrung gewesen
wären. Mit leerem Magen steigen Elefanten nur sehr ungern über Berge
(Tagesbedarf min. 150-200 Kg Grünzeug). Elefanten sind Zehenspitzengeher und
nicht fähig eine verschneite Geröllhalde hinunterzusteigen. Das Risiko die
furchteinflössenden, kriegswichtigen Elefanten zu verlieren wäre maximal
gewesen.
Als erfahrener Stratege hätte Hannibal wohl das Heer aus
Sicherheitsgründen und einfacherer Organisation in zwei Züge aufgeteilt und
über zwei verschiedene Pässe laufen lassen, um sich in Italien
wiederzuvereinigen. Genau so machte es Alexander der Grosse über 100 Jahre
vorher, als er erfolgreich den Hindukusch überquerte.
Auch wenn auf dem Col de la Traversette
Spuren von 2.000 Jahre altem Pflanzenfresserkot und zertrampeltes Gelände
gefunden wurde, so beweist das nicht, dass die Spuren von Hannibal stammen, den
vorher und nachher sind gallische Siedler mit ihren Tierherden, begleitet von
Truppen über die Pässe nach Oberitalien gezogen. «Über diesen Pass sind schon
gallische Heere mit Frauen und Kindern gezogen.» Polybios Historíai. Buch III.
48
Unwahrscheinlich ist, dass Hannibal seine Soldaten ohne
Winterausrüstung (falls notwendig) losgeschickt hat. Im Winterlager wäre genügend
Zeit gewesen warme Kleidung anzufertigen.
Der Todesmarsch über den Col de la Traversette hat Hannibals Heer fast die Hälfte seiner Kampfkraft durch Schlachten, Gelände und Wetter verloren. Sein Weg müsste also mit Leichen von Mensch und Tier gepflastert sein. Es wurde aber bis heute kein Schädel, weder Mensch- noch Rossgebiss und auch keine Stosszähne gefunden.
Auch die vielen Sondengänger hatten bisher keinen Erfolg, keine abgebrochene Schwertspitze, kein Schuhnagel, kein Zaumzeug oder gar eine verlorengegangene Münze. Rein gar nichts wurde gefunden, somit gibt es kein einziges Artefakt, das auf Hannibals Alpentraversierung hindeutet.
Sicher hätten, nach den verlorenen Kämpfen, die Allobriger
alles eingesammelt was sie brauchen konnten und danach die Leichen wohl
verscharrt und das Tierfleisch eingepökelt.
Auch von den vielen abgestürzten Lasttieren samt Gepäck, den
Pferden mit ihren vollausgerüsteten Reitern, die die Allobriger nicht finden
oder bergen konnten fehlt jede Spur.
Unwahrscheinlich ist auch, dass Hannibals Heer den Marsch über die Alpen in 15 Tagen gelang. Polybios zählt allein 9 Kampf-, Warte- oder Ruhetage auf. Die 160 Km lange Strecke über die Alpen von Pontcharra bis an den Rand der Poebene in 6 Tagen, das schafft kein erschöpftes Heer, das neben gemütlich trottenden Kühen auch noch Gefangene in Ketten mitgeführt haben soll. Polybios Historíai III 62
Viel wahrscheinlicher ist, dass Hannibal die Gelegenheit wahrgenommen
hat, das vor kurzem bei Marseille gelandete römische Heer anzugreifen und sich
die Küstenstrasse freizukämpfen. Und über Saint-Tropez, Cannes, Nizza, Monte
Carlo und San Remo in Italien einmarschiert ist ;-)
Für Polybios wäre dies allerdings keine brauchbare Story.
Das Hannibal ein römisches Heer schlägt und sich den Weg freigekämpft ist
nichts Einmaliges, das schon im Voraus die Unbesiegbarkeit von Hannibal
aufzeigen würde.
Die Beschreibungen von Polybios sind viel zu detailliert
ausgemalt, als dass sie authentisch sein könnten. Polybios wollte durch fabulöse,
rhetorische Ausschmückungen und grelle Erzählweise gezielt Emotionen erzeugen.
Für mich haben seine und auch meine spekulativen Erzählungen
etwa die gleiche Authentizität wie Sandalen-Filme aus
Hollywood.
Des Polybios Geschichte: Buch III.
Entschuldigt allfällige Orthographie Fehler, ich bin seit Karl dem Grossen der schwerste Legastheniker der Geschichte. Auch die Komasetzung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.