Der Feind hört mit


Um gegen das Überhandnehmen der nazideutschen Propaganda in Radio, Film und Presse ein schweizerisches Gegenstück zu schaffen und die Bevölkerung auf einen möglichen Krieg vorzubereiten entwickelte der Bundesrat 1932 das Instrument der «Geistigen Landesverteidigung».

Der Bund initiierte unteranderem die Schweizer Filmwochenschau, schob die Pro Helvetia an, erhöhte die einheimische Filmförderung, lancierte die «Der Feind hört mit»-Kampagne und verstärkte die Überwachung der Ausländer und der eigenen Bürger.

Auch eine Zensurbehörde wurde eingerichtet, die «Abteilung Presse und Funkspruch» unterstand dem Bundesrat und dem Armeekommando. Über 5000 Schriften hat die schweizerische Buchzensur von 1939 bis 1945 begutachtet – darunter Werke von Hitler, Stalin und Winston Churchill bis hin zu Schriften von Max Frisch, Erich Fromm und Bertolt Brecht.

Einer Vorzensur unterlagen Presse, Radio, Filme, Schallplatten und Telegramme.

Zudem durfte nur noch in den vier Landessprachen telefoniert und telegrafiert werden; zur Kommunikation mit dem Ausland war zusätzlich noch Englisch zugelassen.

Telephonanschlüsse von Personen, die einer gegen die Landesinteressen gerichteten Aktivität verdächtigt waren, wurden direkt abgehört oder die Gespräche auf „Rollen“ aufgezeichnet.

 

Hört der Feind nicht mehr mit?

Alle diese Massnahmen wurden nach dem Kriegsende 1945 offiziell eingestellt.

Doch insgeheim wurden die Überwachungstätigkeiten weitergeführt, ja, noch ausgeweitet. Stärker als andere Länder Westeuropas sah sich die neutrale Schweiz vom Kommunismus besonders bedroht, obschon die moskautreue «Partei der Arbeit» sich nur als Kleinstpartei etablieren konnte.

Und auch die politische Rechte hielt weiterhin die Fahne der Geistigen Landesverteidigung hoch. Die SVP bedient sich bis in die heutige Zeit in Vokabular und Bildsprache der Ideen der Geistigen Landesverteidigung.




Manchmal ahmt die SVP gar Plakate der "Nationalen Front" der faschistischen Partei Schweiz nach:


Auch das «linke Fernsehen» möchten rechte Meinungsmacher als Medium der Geistigen Landesverteidigung umfunktionieren.


Identitätsstiftender Brief

Im Sommer 2006 sorgte eine Leihgabe des Bundesbriefes von 1291 an die Ausstellung "Sister Republics" im Museum für Verfassungsgeschichte in Philadelphia bei einigen rechtsgerichteten Gruppen für Aufregung. Drei SVP-Nationalräte wollten den «identitätsstiftenden Brief» kaufen, nur um die Ausleihe zu verhindern.

Der Bau des Bundesbrief-Archivs 1936 war ein weiterer, den Zusammenhalt der Schweiz fördernden Bestandteil der Geistigen Landesverteidigung. Zu dieser Zeit empfanden sich die meisten noch als Bürger ihrer Kantone und nicht als Schweizer. Der Erste - und vor allen der Zweite Weltkrieg machte aus der Schweiz erst eine Willensnation.

Ausser gegenseitiger Waffenhilfe steht im Bundesbrief auch ganz Unschweizerisches, wie etwa: «dass jeder nach seinem Stand seinem Herren geziemend dienen soll» Er bestätigt also die Leibeigenschaft der Bauern an den lokalen Landadel.

Nur zwei von sieben Absätzen sind für den Beistand im Kriegsfall relevant, der überwiegende Teil des Textes beschäftigt sich mit Fragen des Straf- und Zivilrechts zwischen den Talgemeinschaften.

 

Neben allen unliebsamen späteren Folgen leben aber auch positive, kulturelle Werte der Geistigen Landesverteidigung seit der Kriegszeit unbestritten weiter, etwa in der soliden Sozialpartnerschaft.

     

Erste Kritik am Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Der breiten Öffentlichkeit wurde 1958 durch einen Kinofilm erstmals ein deutsches Flüchtlingsdrama vor Augen geführt. Mit dem nichtssagenden Titel «Der 10. Mai» kam der Film von Franz Schnyder in die Schweizer Kinos. Obwohl von der Kritik wohlwollend aufgenommen, fand der Film nur wenig Interesse beim Schweizer Publikum.

In Deutschland hingegen war der Film unter dem Titel «Die Angst vor der Gewalt» ein Erfolg. Er wurde zum Eröffnungsfilm bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin 1958 ausgewählt. Der kritische Film nahm aber auf Wunsch des Bundesrates – «Mit schmutziger Wäsche geht man nicht ins Ausland» – nicht am Wettbewerb teil.

 


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Max Frisch rechnet 1989 in seinem Büchlein »Schweiz ohne Armee? Ein Palaver» mit der Geistigen Landesverteidigung ab.



Der Fichenskandal

Ein geheimes Überbleibsel der Geistigen Landesverteidigung kam erst in den späten 1980er Jahren ans Licht. Die Bundesanwaltschaft sammelte auch nach Aufhebung des kriegsbedingten Notrechts 1945 munter weiter Informationen über Organisationen, Bürger und in der Schweiz weilende Ausländer.

Die eifrigen Staatsschützer schätzten Friedensbewegte, Alternative, Grüne, Linke,  Drittwelt-Aktivisten, Frauenbewegungen, Fremdarbeiterbetreuer, Anti-AKW-Bewegungen und religiöse Gruppierungen als potentiell gefährlich ein. In überbordendem Eifer wurden mehrere hunderttausend Fichen angelegt. Erst 1988 erfuhr das Parlament überhaupt vom Vorhandensein einer umfangreichen Fichensammlung.

Die Aufdeckung des Fichenskandals bewegte die schweizerische Öffentlichkeit stark. Das Vertrauen vieler Bürger in den «Schnüffelstaat» war erschüttert. Zahlreiche Bürger reichten Gesuche ein, um die Herausgabe der persönlichen Fichen zu erreichen. Sie erhielten schliesslich Kopien ihrer Fichen, allerdings wurden, um die Identität der Informanten geheim zu halten, die Namen von Drittpersonen mit einem schwarzen Balken abgedeckt.


Meine Fiche

Ich hatte eine Fiche mit zwei Einträgen: 

1. Die Eidgenössische Flugsicherung erteilte mir eine Tiefflugenehmigung um Freibäder aus der Luft zu fotografieren (hätte ja auch militärische Einrichtungen ausspionieren können :-).

2. Meldung des Deutschen Bundeskriminalamtes, dass ich ein aktiver Sympathisant der Roten Armee Fraktion sei.

Das kam so. Bei einem Spielfilm habe ich mich mit dem Schauspieler Christoph Wackernagel angefreundet. Was ich nicht wusste, er war ein Mitglied der RAF. Er wurde bei einer Schiesserei in Amsterdam verhaftet und elf Jahre meist in Einzelhaft gehalten. Wir verkehrten brieflich und ich schickte ihm einmal drei Bücher: eins über Zen, einen japanischen Liebesroman und ein Micky Maus Heftli. Er habe das Päckli nicht ausgehändigt bekommen, schrieb er zurück, zudem dürfe er ohnehin maximal drei Bücher und auch nur solche aus der Gefängnisbibliothek in seiner videoüberwachten Zelle haben.

Ich fand diese übertriebenen Haftbedingungen unmenschlich. In meinem jugendlichen Übermut überlegte ich, wie ich der deutschen Justiz einen Streich spielen könnte. Zufälligerweise flatterte mir ein Kettenbrief ins Haus. Er versprach, dass wenn ich an 8 Adressen eine Postkarte schicke, ich in kurzer Zeit nach dem Schneeballsystem mehrere Hundert Postkarten erhalten würde. Nun war es ein Einfaches die Post-Überwachung meines Freundes ad absurdum zu führen. Ich verschickte die 8 Postkarten tauschte aber meine Adresse mit der Gefängnisanschrift von Christoph aus. Das Deutsche Bundeskriminalamt hatte wohl ziemlich viel Arbeit, bis es die Veräppelung erkannte und die Kette bis zu mir zurückverfolgen konnte. Da ich aber Schweizer war konnten sie gegen mich nichts unternehmen, ausser mir einen geharnischten Brief zu schreiben und mich bei der Schweizer Bundessanwaltschaft zu verpetzen.

Nach seiner Freilassung wurde Christoph vom holländischen Polizeikommissar, der ihn verhaftet hatte, zu sich nach Hause eingeladen. Als sie sich dem Wohnhaus näherten sah Christoph die Ehefrau des Polizisten vom Balkon aus ihnen freudig zuwinken. Es ging ihm eiskalt über den Rücken - hätte ich bei der Schiesserei damals diesen Mann getötet…

 

Entschuldigt allfällige Orthographie Fehler, ich bin seit Karl dem Grossen der schwerste Legastheniker der Geschichte. Auch die Komasetzung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.

 

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