Der Italo - Jap

Mit zwei Völkern und ihren Kulturen fühle ich mich innigst verbunden, mit dem Japanischen und dem Italienischen. Natürlich habe ich absolut idealtypische Vorstellungen von den beiden Volkscharakteren und bediene Clichés, die längst überholt sind. Trotzdem möchte ich anhand ihrer Nationalhymnen versuchen in salopper Weise die beiden Volksseelen zu spiegeln.

 

Forza Italia

Nur eins ist in Italien sicher, dass alles provisorisch ist. So auch die italienische National Hymne. Sie wurde den politischen Voraussetzungen immer wieder geschmeidig angepasst, Monarchie, Faschismus, Republik. Erst 2017 wurde das Lied «Fratelli d’Italia» offiziell per Gesetz zur italienischen Nationalhymne «Il Canto degli Italiani» erhoben. Um dennoch flexibel zu bleiben verzichtete man in Italien, wie sonst üblich, die Hymne in der Verfassung festzuschreiben. 

Ich nutze jedes Fussballspiel der italienischen Nationalmannschaft um mit Tränen in den Augen «Fratelli d’Italia» mitzusingen. Von der italienischen Nationalhymne wird meist nur die erste Strophe gesungen, der Rest ist eigentlich grösstenteils tabu. Es ist die Kritik des 20jährigen Goffredo Mameli an den Zuständen in dem noch nicht vereinten Italien des 19. Jahrhunderts, die aber teilweise auch heute noch Gültigkeit hätte:  

«Wir wurden seit Jahrhunderten

Getreten und ausgelacht,

Weil wir kein Volk sind,

Weil wir geteilt sind.»

(Damals in unzählige Fürstentümer und Stadtstaaten - Heute in Nord-Süd, Rechts-Links, Arm-Reich)

 

Die folgenden Zeilen wären aber wirklich nicht mehr zeitgemäss.

«Der österreichische Adler

Hat schon die Federn verloren.

Das Blut Italiens,

Das Blut Polens

Hat er mit dem Kosaken getrunken.»

 

Weiter ist Todesverachtung auch nicht gerade Sache des Italieners:

«Lasst uns die Reihen schliessen,

Wir sind bereit zum Tod,

Wir sind bereit zum Tod,

Italien hat gerufen!

Lasst uns die Reihen schliessen,

Wir sind bereit zum Tod,

(Hier schwillt die Musik an und endet mit einem Knall)

Wir sind bereit zum Tod,

Italien hat gerufen! Ja!»

 

Die italienischen Fussballer lassen es sich aber nicht nehmen, um ihren Adrenalinpegel vor dem Spiel hoch zu jagen, diese martialische letzte Strophe theatralisch mitzusingen. Einige haben wie ich schon Tränen in den Augen, bevor die Hymne überhaupt anhebt. Schon beim musikalischen Auftakt beginnen die Azzuri mit den Hufen zu scharren und bei der letzten Strophe krallen sie sich aneinander fest als müssten sie wirklich zusammen in den Tod gehen. Derweil sich der Gegner am Sack kratzt. (Unten links im Bild)

Ein Must-See-Video    



Die erste, am häufigsten gesungene Strophe zeigt aber das von mir so geliebte italienische Wesen. Nach einem lüpfig, galoppierenden  Marschauftakt erschallt selbstbewusst und in fröhlicher Aufbruchstimmung der Gesang:

 «Brüder Italiens,

Italien hat sich erhoben,

Und hat mit Scipios Helm

sich das Haupt geschmückt.»

Scipio hat den legendären Hannibal, nachdem dieser mit seinem Heer 14 Jahre lang durch Italien marodierte, gestellt und geschlagen. Allerdings ist diese Heldentat schon weit über 2000 Jahre her. Schön finde ich auch, dass sich Italien mit dem Helm schmückt und nicht schützt. Die Wirkung ist ja letztendlich dieselbe.

Aber schon nach der Hälfte der ersten Strophe verlässt den Italiener der Mut. Ängstlich ruft er nach Mama:

«Wo ist die Siegesgöttin Victoria?

Sie möge Italien ihr Haupt zuneigen.»

Um sie weiter an ihre gottgegebenen Pflichten zu erinnern:

«Denn als eine Sklavin Roms

hat Gott sie erschaffen

Wort wörtlich kleinlauter, schon fast ängstlich wird dann der Refrain nochmals beschwörend gesungen:

«Brüder Italiens,

Italien hat sich erhoben,

Und hat mit Scipios Helm

Sich das Haupt geschmückt.

Wo ist die Siegesgöttin Victoria?

Sie möge Italien ihr Haupt zuneigen.

Denn als eine Sklavin Roms

hat Gott sie erschaffen.»

Zum Schluss bestätigen die kampfbereiten Combatanti noch einmal ihren Todesmut, bis nach einem Crescendo der Schlussschuss fällt.

«Lasst uns die Reihen schliessen,

Wir sind bereit zum Tod,

Wir sind bereit zum Tod,

Italien hat gerufen!

Wir sind bereit zum Tod,

Wir sind bereit zum Tod,

Italien hat gerufen! Ja!»

 

Offizielle Version: « Il Canto degli Italiani »



Daneben gab es in Italien auch verbotene Untergrund-Hymnen des Widerstands gegen fremde Besatzer, die Monarchie, den Faschismus und auch gegen die Republik. So zB. der Gefangenenchor aus Nabucco. Der heute als Innbegriff kitschigen Operngesangs geltende Chor avancierte Mitte des 19, Jahrhunderts in Italien zum Kampflied des Widerstands gegen die Habsburger.

Giuseppe Verdi  hat in seiner absolut politischen Oper bewusst, um die Zensur zu umgehen, die Unterdrückung der Norditaliener durch die österreichischen Besatzer spiegelbildlich auf das Streben des jüdischen Volkes nach Freiheit aus der babylonischen Gefangenschaft übertragen.

Nach dem Verbot der österreichischen Besatzer die Hymne «Fratelli d’Italia» («der österreichische Adler hat schon die Federn verloren…») zu singen, bot das Lied «Va, pensiero» („Steig, Gedanke, auf goldenen Flügeln“) einen aufwühlenden Ersatz, der sich in kürzester Zeit in ganz Norditalien verbreitete. Bei jeder Aufführung von Nabucco (allein in der Spielzeit Winter 1841/42 gab es nur in der Mailänder Scala 58 Aufführungen) stand das ganze Publikum beim ersten Ton des evokativen Jammergesangs «Va, pensiero, sull’ali dorate» auf und sang aus tiefster Seele zusammen mit dem Gefangenenchor die heimliche Nationalhymne.

 

Zucchero @ Pavarotti  «Va,pensiero»

Ein lebloser Gesangsautomat der Einzeltöne produziert und ein Italiener mit Leib und Seele der Englisch singt.



«Va, pensiero» cantato da 4600 coristi all'Arena di Verona




Aus Kinderkehlen wird das Lied endgültig zum Ohrwurm





Nihon ichiban  (Japan Nr.1)

Das pure Gegenteil zu «Fratelli d’Italia» ist die japanische Nationalhymne "Kimi Ga Yo" (Eure Herrschaft), sie wirkt auf uns Langnasen (Nichtjapaner) schwermütig pathetisch, absolut unkämpferisch, ja temperamentlos und sehnsuchtsgeladen poetisch. Ihre Wurzeln sind auch schon über tausend Jahre alt. Das lyrische Lied wünscht, dass doch alles so bleiben möge wie es ist.

Die japanische Nationalhymne besteht wirklich nur aus einer kurzen Strophe, die aber alles sagt. Jedenfalls über die konservierende Haltung auch der modernen Japaner gegenüber ihren kulturellen Eigenheiten.

 

«Eure Herrschaft währe

tausend Generationen,

achttausend Generationen,

bis ein Steinchen

zum Felsen wird

auf dem Moos spriesst.»

 

Musikalisch hingegen gilt die heutige Version von «Kimi Ga Yo» als erste bekannte Mischung westlicher und japanischer Musik, sowohl in Komposition, Instrumentierung als auch in der Melodik (Uraufführung 1880). Was die Neugier der Japaner auf Fremdes, und ihre Fähigkeit dieses zu japanisieren deutlich aufzeigt. Die Japaner haben eigentlich gar nichts erfunden, aber vieles zur Blüte gebracht, vom chinesischen Holzschnitt bis zur westlichen Unterhaltungselektronik. Einige Dinge werden weltweit gar als typisch japanisch angesehen, obwohl sie meist aus China oder Korea eingeflossen sind, aber durch den japanischen Geist erst zu dem wurden was sie heute sind. So etwa die Kampfkünste, Bonsai, Ikebana, Sushi oder Zen, um nur wenige zu nennen.

 

株式会社日本合唱協会



Ein Schlaflied zur Spieleröffnung im brutalen Rugby




Entschuldigt allfällige Orthographie Fehler, ich bin seit Karl dem Grossen der schwerste Legastheniker der Geschichte. Auch die Komasetzung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.


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