Mein Traum und ich

Die Beschäftigung mit dem nächtlichen Traumgeschehen ist ein Dialog zwischen dem Wachbewusstsein und dem Unbewussten. Im Traum versucht sich das U. mitzuteilen. Das U. ist auch im Wachzustand anwesend und nimmt somit die Rezeption seiner Mitteilungen wahr. Wenn nötig wiederholt es den Trauminhalt in neuem Gewand oder kreiert eine Fortsetzung. Möglicherweise wird die Angelegenheit auch als erledigt betrachtet.



Salvador Dali: «Freud im Dialog mit seinem Unterbewusstsein»

 

Während meines Studiums am Institut für Initiatische Therapie habe ich meine Träume nachts spontan auf Band gesprochen. Am Morgen habe ich die Träume aus der Erinnerung aufgeschrieben und später mit den nächtlichen Aufzeichnungen verglichen. Das Abhören der Bänder war manchmal schmerzhaft, nochmals musste ich durch bedrohliches Traumgeschehen hindurch, erzählt von meiner noch im Traumgeschehen verwurzelten emotionalen Stimme. Aber auch Bestätigungen von positiven Entwicklungen kamen zum Glück gelegentlich vor.

Meine morgendlichen Berichte waren anfänglich eher verharmlosend, ich konnte im Wachen die Bedeutsamkeit des Geträumten noch nicht richtig annehmen. Aber ich und «Du» kamen mit der Zeit in einen Dialog auf Augenhöhe, der mir, neben anderen psychohygienischen Übungen, half zu notwendigen Einsichten zu gelangen und Entwicklungen anzuschieben.

 

Notsignal

Werden die unzensurierten Mitteilungen aus dem U. im Wachen verdrängt, greift das U. bei manchen Menschen, um Aufmerksamkeit zu erlangen zum äussersten Mittel, es entlässt die schrecklichsten Figuren aus dem Reservat des archaischen Traumpersonals, die einen angsteinflössenden Radau aufführen. Was aber meist kontraproduktiv ist.

Noch schlimmer, das U. zieht sich in die Schmollecke zurück und schweigt scheinbar.

Erkennt man ein Defizit an innerem Dialog, kann man mit der «Du - Meditation» Nähe schaffen. Einfach beim Ausatmen mit «Du» (bitte melde dich) das Unbekannte innerlich anrufen.

Alle Meditationsübungen vor allem suggestive sind nicht ungefährlich und bedürfen möglicherweise einer neuen Einordnung des Erfahrenen.

 

Wie erkennt man den Trauminhalt

Es gibt Neurowissenschaftler, die der Meinung sind, dass Träume nur ein bedeutungsloses Abfallprodukt des nächtlichen Gehirn-Reorganisations-Prozesses sind. Ich glaube aber, dass der Traum eine Funktion hat und ein Bestandteil der Evolutionsgeschichte ist. Ein so komplexer Vorgang, der den erholsamen Schlaf unterbricht, den Menschen ängstigen, das Wachdenken beeinflussen und seine Wahrnehmung stören kann usw. hätte die Evolution nicht aufrechterhalten wie etwa das überflüssige Steissbein, wenn es keinen tieferen Sinn hätte.

Zudem kann das Träumen auch Befriedigung in unterversorgten Gefühlsbereichen geben.

Die Entschlüsselung von Träumen muss also ein den meisten Menschen spontan zugänglicher Vorgang sein, da sie ja schon vor Jahrtausenden von den Menschen verstanden wurde. Die Evolution hat wohl kaum auf Freud und Jung als Traumdeuter gewartet.

 

Alles ist was es ist. Aber was ist es?

Aus der psychologischen Schule der «Daseinsanalyse» (Heidegger, Binswanger, Boss) ist die «Phänomenologische Traumbetrachtung» hervorgegangen. Sie weist sowohl Freuds wie auch Jungs Deutungstechnik zurück, weil sie den Phänomenen willkürlich einen Sinn unterschiebt, der sich an den Phänomenen gar nicht ausweisen lässt. Eine Pistole ist eben kein Penis und nicht jede Schlange weist auf schleichendes Ungemach hin.

Bei der Analysetechnik der «Phänomenologische Traumbetrachtung» hinterfragt man jedes Traumobjekt nach seiner allgemeinen und der individuellen Bedeutung. Nichts Dargestelltes ist zufällig.

Ein Hund beispielsweise ist allgemein gesehen ein domestiziertes Tier, gilt als Freund des Menschen, je nach Rasse hat er eine verschiedene Ausstrahlung usw. Wie steht aber der Träumende im Wachen zu Hunden? Mag er sie, hat er Angst vor ihnen, hatte er Erlebnisse mit Hunden usw. Entscheidend ist natürlich das Verhalten des Hundes und des Träumenden. Fletscht der Hund die Zähne oder wedelt er mit dem Schwanz, rennt der Träumer davon oder stellt er sich dem Hund entgegen, weist er ihn zurecht und kuscht das Tier. Archaische, menschliche Persönlichkeitsanteile können durchaus als mehr oder weniger domestizierte Tiere in Träumen auftreten. 

Wenn in einem Traum die Nachbarin auftaucht, so ist nicht unbedingt die leibhaftige Frau Krethi, sondern ihre Repräsentanz gemeint. Was verkörpert sie, welche Attribute, welche Charaktereigenschaften würde ich ihr zuordnen, an wen erinnert sie mich usw. Als was für einen Frauentyp wird sie allgemein wohl gehalten, ist sie eher beliebt oder unbeliebt, warum, und was sehe ich persönlich in ihr und warum?




Natürlich spielt auch das Verhalten der Traumdarstellerin eine wichtige Rolle. Dies lässt sich nach dem gleichen Schlüssel, wie wird es üblicherweise beurteilt und wie trifft es mich persönlich, klären. Durch diese einfachen Fragestellungen erfährt man viel über sich und andere. Und versteht trotzdem vieles nicht. Aber damit hat bereits ein Klärungsvorgang begonnen und die Auseinandersetzung mit dem Trauminhalt hilft dem U., das ja verstanden werden möchte, sich klarer und dem Verständnis des Träumenden gemäss auszudrücken.

Menschen die ihre Träume nach Freud oder Jung deuten, beginnen auch in der dazugehörenden Symbolik zu träumen, dadurch beweist das U. seine Fähigkeit und seinen Willen sich der gewünschten Traumsprache anzupassen.

 

Die Traum-Produktion

In gleicher Weise konnte auch schon der Frühmensch Erkenntnis aus seinen Träumen ziehen. Seine Traum-Darstellerkartei und seine Requisitenkammer aus denen das U. seine Träume kreieren konnte, waren natürliche viel übersichtlicher und im Wachen auch einfacher zu deuten. Die Gefährlichkeit des Wolfes, die Undurchdringlichkeit der Wälder, Mutter, Vater, die Götter und ihre Fabelwesen usw. waren alles Dinge seiner direkten Umwelt und Kultur, deren Wertigkeit ihm bekannt waren.

Im Gegensatz dazu verfügt der heutige Mensch über einen überbordenden Vorrat an Figuren aus Film und Fernsehen, einem Kostümverleih, der alles vorrätig hat von antiker Gewandung bis zum futuristischen Raumanzug, Spielorte in den unglaublichsten Winkeln auf der ganzen Welt, von der Bakterie bis zum Klonschaf reichen die verfügbaren Lebewesen, ebenso viele verschiedene Ethnien und Kulturen können auftreten usw. 

Diese Vielfalt vergrössert zwar die Bestimmungsarbeit, ermöglicht aber eine bessere Differenzierung. Der Prozess der Traumarbeit ist immer schon Arbeit an sich selbst.

Was aber die Gefühle im Traum anbetrifft wird wohl kaum ein Unterschied zwischen dem frühen und heutigen Menschen sein.


Alles bin ich

Durch die Komplexität des heute möglichen Traumgeschehens und das grenzenlose Vorhandensein von neuen Attributen, kommt auch die «Phänomenologische Traumbetrachtung» nicht ganz ohne Kunstgriffe aus.

In einem zweiten Durchgang der Traumbetrachtung wird alles als mir inhärent betrachtet. Das heisst, alles bin ich, alle Traumphänomene sind Persönlichkeitsanteile von mir oder gehören zu meiner Biographie.

 

Eine besondere Rolle im zeitgenössischen Träumen nehmen Fahrzeuge ein. Sie zeigen in welcher Art und Weise wir momentan durchs Leben kutschieren.

Mir träumte schon, dass ich im leeren Frachtraum eins Flugzeugs durch einen heftigen Sturm geflogen bin. Abwechselnd knallte es mich an die Decke, wieder auf den Boden und an die Seitenwände, bis ich ins führerlose Cockpit vorgedrungen bin und den Steuerknüppel selbst in die Hand genommen habe.

Anderseits flog ich auch schon zusammen mit einer fröhlichen Bande singend in einem offenen Langboot über Wiesen, Flüsse und Wälder.

Die Art der Fortbewegung erklärt oft das momentane Lebensgefühl: bin ich am Steuer, wer fährt und wie, ist es komfortabel, ist es chic, fahre ich durch eigene Kraft oder brauche ich einen Motor, wie sind die Verkehrswege, ist es zu schnell oder zu langsam, ist das Ziel bekannt...

 

Er kennt sein Ziel, er lenkt selbst, bestimmt die Geschwindigkeit, braucht keinen Motor und kein Hindernis steht ihm im Weg. Die wegfliegenden Blätter beweisen, dass er nicht an Ort tritt. Die aufrechte Haltung lässt keinen Gegenwind erahnen. Der abstrakte, weisse Hintergrund weist auf den metaphorischen Charakter des Traumbildes hin. So oder so siehts auch chic aus.

 

Aus den analysierten Versatzstücken des Traumfilms kann man manchmal im Zusammenhang schon eine Botschaft erkennen. Meistens hat man aber keine sogenannten «Klarträume», aber in den weiteren Traumfolgen kann sich die scheinbar verschlüsselte Mitteilung des U. klären. Der fortlaufende Dialog mit dem U. und die Traumbetrachtung mittels des "gesunden Menschenverstandes" sind der Schlüssel zu neuem Erkennen des eigenen selbst. Und desshalb auch eine unbestechliche Hilfe zur sinnvollen, glücklichen Lebensgestaltung,

 

 

Medard Boss: „Es träumte mir vergangene Nacht ...“. Sehübungen im Bereich des Träumens und Beispiele für die praktische Anwendung eines neuen Traumverständnisses. Verlag Huber, Bern,  ISBN 3-456-80139-4.

 

Entschuldigt allfällige Orthographie Fehler, ich bin seit Karl dem Grossen der schwerste Legastheniker der Geschichte. Auch die Komasetzung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.


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