Mein Traum und ich
Die Beschäftigung mit dem nächtlichen Traumgeschehen ist ein Dialog zwischen dem Wachbewusstsein und dem Unbewussten. Im Traum versucht sich das U. mitzuteilen. Das U. ist auch im Wachzustand anwesend und nimmt somit die Rezeption seiner Mitteilungen wahr. Wenn nötig wiederholt es den Trauminhalt in neuem Gewand oder kreiert eine Fortsetzung. Möglicherweise wird die Angelegenheit auch als erledigt betrachtet.
Während meines Studiums am Institut für Initiatische
Therapie habe ich meine Träume nachts spontan auf Band gesprochen. Am Morgen
habe ich die Träume aus der Erinnerung aufgeschrieben und später mit den
nächtlichen Aufzeichnungen verglichen. Das Abhören der Bänder war manchmal
schmerzhaft, nochmals musste ich durch bedrohliches Traumgeschehen hindurch, erzählt
von meiner noch im Traumgeschehen verwurzelten emotionalen Stimme. Aber auch
Bestätigungen von positiven Entwicklungen kamen zum Glück gelegentlich vor.
Meine morgendlichen Berichte waren anfänglich eher verharmlosend,
ich konnte im Wachen die Bedeutsamkeit des Geträumten noch nicht richtig annehmen. Aber
ich und «Du» kamen mit der Zeit in einen Dialog auf Augenhöhe, der mir, neben
anderen psychohygienischen Übungen, half zu notwendigen Einsichten zu gelangen und
Entwicklungen anzuschieben.
Notsignal
Werden die unzensurierten Mitteilungen aus dem U. im Wachen verdrängt,
greift das U. bei manchen Menschen, um Aufmerksamkeit zu erlangen zum
äussersten Mittel, es entlässt die schrecklichsten Figuren aus dem Reservat des
archaischen Traumpersonals, die einen angsteinflössenden Radau aufführen. Was
aber meist kontraproduktiv ist.
Noch schlimmer, das U. zieht sich in die Schmollecke zurück
und schweigt scheinbar.
Erkennt man ein Defizit an innerem Dialog, kann man mit der
«Du - Meditation» Nähe schaffen. Einfach beim Ausatmen mit «Du» (bitte melde
dich) das Unbekannte innerlich anrufen.
Alle Meditationsübungen vor allem suggestive sind nicht
ungefährlich und bedürfen möglicherweise einer neuen Einordnung des Erfahrenen.
Wie erkennt man den Trauminhalt
Es gibt Neurowissenschaftler, die der Meinung sind, dass
Träume nur ein bedeutungsloses Abfallprodukt des nächtlichen Gehirn-Reorganisations-Prozesses
sind. Ich glaube aber, dass der Traum eine Funktion hat und ein Bestandteil der
Evolutionsgeschichte ist. Ein so komplexer Vorgang, der den erholsamen Schlaf
unterbricht, den Menschen ängstigen, das Wachdenken beeinflussen und seine
Wahrnehmung stören kann usw. hätte die Evolution nicht aufrechterhalten wie
etwa das überflüssige Steissbein, wenn es keinen tieferen Sinn hätte.
Zudem kann das Träumen auch Befriedigung in unterversorgten Gefühlsbereichen
geben.
Die Entschlüsselung von Träumen muss also ein den meisten
Menschen spontan zugänglicher Vorgang sein, da sie ja schon vor Jahrtausenden von
den Menschen verstanden wurde. Die Evolution hat wohl kaum auf Freud und Jung
als Traumdeuter gewartet.
Alles ist was es ist. Aber was ist es?
Aus der psychologischen Schule der «Daseinsanalyse»
(Heidegger, Binswanger, Boss) ist die «Phänomenologische Traumbetrachtung»
hervorgegangen. Sie weist sowohl Freuds wie auch Jungs Deutungstechnik zurück,
weil sie den Phänomenen willkürlich einen Sinn unterschiebt, der sich an den
Phänomenen gar nicht ausweisen lässt. Eine Pistole ist eben kein Penis und
nicht jede Schlange weist auf schleichendes Ungemach hin.
Bei der Analysetechnik der «Phänomenologische
Traumbetrachtung» hinterfragt man jedes Traumobjekt nach seiner allgemeinen und
der individuellen Bedeutung. Nichts Dargestelltes ist zufällig.
Ein Hund beispielsweise ist allgemein gesehen ein
domestiziertes Tier, gilt als Freund des Menschen, je nach Rasse hat er eine verschiedene
Ausstrahlung usw. Wie steht aber der Träumende im Wachen zu Hunden? Mag er sie,
hat er Angst vor ihnen, hatte er Erlebnisse mit Hunden usw. Entscheidend ist
natürlich das Verhalten des Hundes und des Träumenden. Fletscht der Hund die
Zähne oder wedelt er mit dem Schwanz, rennt der Träumer davon oder stellt er sich
dem Hund entgegen, weist er ihn zurecht und kuscht das Tier. Archaische, menschliche Persönlichkeitsanteile können durchaus als mehr oder weniger domestizierte Tiere in Träumen auftreten.
Wenn in einem Traum die Nachbarin auftaucht, so ist nicht unbedingt die leibhaftige Frau Krethi, sondern ihre Repräsentanz gemeint. Was verkörpert sie, welche Attribute, welche Charaktereigenschaften würde ich ihr zuordnen, an wen erinnert sie mich usw. Als was für einen Frauentyp wird sie allgemein wohl gehalten, ist sie eher beliebt oder unbeliebt, warum, und was sehe ich persönlich in ihr und warum?
Natürlich spielt auch das Verhalten der Traumdarstellerin eine wichtige Rolle. Dies lässt sich nach dem gleichen Schlüssel, wie wird es üblicherweise beurteilt und wie trifft es mich persönlich, klären. Durch diese einfachen Fragestellungen erfährt man viel über sich und andere. Und versteht trotzdem vieles nicht. Aber damit hat bereits ein Klärungsvorgang begonnen und die Auseinandersetzung mit dem Trauminhalt hilft dem U., das ja verstanden werden möchte, sich klarer und dem Verständnis des Träumenden gemäss auszudrücken.
Menschen die ihre Träume nach Freud oder Jung deuten,
beginnen auch in der dazugehörenden Symbolik zu träumen, dadurch beweist das U.
seine Fähigkeit und seinen Willen sich der gewünschten Traumsprache anzupassen.
Die Traum-Produktion
In gleicher Weise konnte auch schon der Frühmensch Erkenntnis
aus seinen Träumen ziehen. Seine Traum-Darstellerkartei und seine
Requisitenkammer aus denen das U. seine Träume kreieren konnte, waren
natürliche viel übersichtlicher und im Wachen auch einfacher zu deuten. Die
Gefährlichkeit des Wolfes, die Undurchdringlichkeit der Wälder, Mutter, Vater, die
Götter und ihre Fabelwesen usw. waren alles Dinge seiner direkten Umwelt und
Kultur, deren Wertigkeit ihm bekannt waren.
Im Gegensatz dazu verfügt der heutige Mensch über einen überbordenden Vorrat an Figuren aus Film und Fernsehen, einem Kostümverleih, der alles vorrätig hat von antiker Gewandung bis zum futuristischen Raumanzug, Spielorte in den unglaublichsten Winkeln auf der ganzen Welt, von der Bakterie bis zum Klonschaf reichen die verfügbaren Lebewesen, ebenso viele verschiedene Ethnien und Kulturen können auftreten usw.
Diese Vielfalt vergrössert zwar die Bestimmungsarbeit,
ermöglicht aber eine bessere Differenzierung. Der Prozess der Traumarbeit ist immer schon Arbeit an sich selbst.
Was aber die Gefühle im Traum anbetrifft wird
wohl kaum ein Unterschied zwischen dem frühen und heutigen Menschen sein.
Alles bin ich
Durch die Komplexität des heute möglichen Traumgeschehens und
das grenzenlose Vorhandensein von neuen Attributen, kommt auch die «Phänomenologische
Traumbetrachtung» nicht ganz ohne Kunstgriffe aus.
In einem zweiten Durchgang der Traumbetrachtung wird alles
als mir inhärent betrachtet. Das heisst, alles bin ich, alle Traumphänomene
sind Persönlichkeitsanteile von mir oder gehören zu meiner Biographie.
Eine besondere Rolle im zeitgenössischen Träumen nehmen
Fahrzeuge ein. Sie zeigen in welcher Art und Weise wir momentan durchs Leben
kutschieren.
Mir träumte schon, dass ich im leeren Frachtraum eins Flugzeugs
durch einen heftigen Sturm geflogen bin. Abwechselnd knallte es mich an die
Decke, wieder auf den Boden und an die Seitenwände, bis ich ins führerlose Cockpit
vorgedrungen bin und den Steuerknüppel selbst in die Hand genommen habe.
Anderseits flog ich auch schon zusammen mit einer fröhlichen
Bande singend in einem offenen Langboot über Wiesen, Flüsse und Wälder.
Die Art der Fortbewegung erklärt oft das momentane
Lebensgefühl: bin ich am Steuer, wer fährt und wie, ist es komfortabel, ist es
chic, fahre ich durch eigene Kraft oder brauche ich einen Motor, wie sind die Verkehrswege,
ist es zu schnell oder zu langsam, ist das Ziel bekannt...
Aus den analysierten Versatzstücken des Traumfilms kann man
manchmal im Zusammenhang schon eine Botschaft erkennen. Meistens hat man aber
keine sogenannten «Klarträume», aber in den weiteren Traumfolgen kann sich die
scheinbar verschlüsselte Mitteilung des U. klären. Der fortlaufende Dialog mit
dem U. und die Traumbetrachtung mittels des "gesunden Menschenverstandes" sind
der Schlüssel zu neuem Erkennen des eigenen selbst. Und desshalb auch eine unbestechliche Hilfe zur sinnvollen, glücklichen Lebensgestaltung,
Medard Boss: „Es träumte mir vergangene Nacht ...“.
Sehübungen im Bereich des Träumens und Beispiele für die praktische Anwendung
eines neuen Traumverständnisses. Verlag Huber, Bern, ISBN 3-456-80139-4.
Entschuldigt allfällige Orthographie Fehler, ich bin seit Karl dem Grossen der schwerste Legastheniker der Geschichte. Auch die Komasetzung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Kontakt alexander@jent.ch