Manon – ungeschminkt
Teil 2
Gefangen im eigenen Image
Manon sieht heute noch genauso aus wie vor fünfzig Jahren.
Ihre kleine und zierliche Figur betont sie durch lange, schmale Mäntel. Ihre
pechschwarzen Haare schneidet sie zu einer grafischen Umrandung ihres blassen
Gesichts. Ihre sinnlichen Lippen leuchten rot auf dem weiss gepuderten Teint.
Die eher kindlichen runden Augen zieht sie mit raffinierten schwarzen Strichen
zu schräg gestellten Mandeln, die ihr diesen vampirhaften Ausdruck verleihen.
Männerhüte, Turbane oder ein bis über die Ohren gezogenes Beret
vervollständigen den „Manon-Look“, der in den 70er und 80er Jahren von vielen
Frauen kopiert wurde. Ihr maskenhaftes Äusseres, ihre tadellose, elegante
Gewandung und ihr unnahbares Benehmen machten sie in Zürich zur Kultfigur. Um Manon
ranken sich bald unheimliche Geschichten von einem Vamp, der die Abgründe der
weiblichen Seele hemmungslos auslotet. Durch ihre provo- und evokative, egomane
Kunst schürte sie die Legendenbildung weiter.
In der Presse
erscheinen laufend Artikel über Manon. Die einen verlangen eine
„Hexenverbrennung“, die anderen stilisieren sie zur „Göttin“ hoch.
Nur ein kleiner Kreis kennt ihr scheues, kindliches Gemüt, welches sie durch ein manchmal arrogant wirkendes kühles Auftreten schützt.
1980 zeigt das Kunsthaus Zürich in einer
Übersichtsausstellung ihr Werk. Gleichzeitig gibt der Benteli Verlag ein Buch
über das Phänomen Manon heraus: „Manon, Identität, Selbstdarstellung, Image,
eine Monographie.“
Manon befindet sich im Zenit ihres künstlerischen Erfolges.
Ihre Popularität ist auf dem Höhepunkt. Die Grenzen zwischen Kunstfigur und
ureigenem Wesen werden von ihr kaum noch wahrgenommen. Daraus folgt eine
Identitätskrise.
Ausbruchversuch
Das kühle, abweisende Image, das ihrem warmherzigen Wesen
so gar nicht entspricht, wird mit fortlaufender Popularität zwar als Schutz
immer wichtiger, aber Manon`s Unbehagen wird gleichzeitig immer grösser. Sie
geniesst es zwar aufzufallen, doch sie spürt die Einengung und Unfreiheit in
ihrer extravaganten Rolle. Als Gegenmassnahme schleicht sie manchmal
ungeschminkt in geschmacklosen, vergammelten Kleidern unerkannt heimlich durch
die In-Lokale.
Leben im Schaukasten
Als weiterer Versuch, sich vom selbst gewählten Image zu
lösen, stellt Manon während eines Jahres in einem Schaukasten an der St.
Peterhofstatt und gleichzeitig in der Galerie Stähli Fotos und Texte aus ihrem
ungeschminkten Alltag aus. Die im Stile italienischer Fotoromane gestalteten
Bilder sollen die Gegenwelt zu ihrem „Femme fatal“ Image aufzeigen. Sie fühlt
sich immer mehr als missbrauchte Projektionsfläche der Männerwelt.
Manon`s Weg in Selbstbildnissen
Manon zeigt in ihren Fotoarbeiten ihren persönlichen
Entwicklungsprozess in einem nicht ungefährlichen, lebenslänglichen
Selbstexperiment.
Während Manon in der Öffentlichkeit durch ihr maskenhaftes
Auftreten und ihr hochstilisiertes Image eine unüberbrückbar scheinende Distanz
schafft, zeigt sie in ihren Selbstportraits ihr Innerstes meist vorbehaltlos.
Ihre Ängste und Hoffnungen, Niederlagen und Wünsche, ihren „feministischen
Narzismus“ und ihr ungeschminktes Gesicht.
In ihren Fotoserien von den „Fetischfotos“ über „La dame au
crâne rasé“, „Ball der Einsamkeiten“ bis zu „Forever young“ zeichnet Manon
ihren Entwicklungsweg in starken Bildern sowohl als Künstlerin, als Kunstobjekt
und folglich auch als Mensch nach. Wenn Manon über ihre Bilder reflektiert,
spricht sie automatisch über sich selber, und das tut sie offen und ehrlich.
Nach ihrer frühen Einsicht, dass die Künstlerin und ihr
Werk ein und dasselbe sein müssen, zelebriert sie in ihren ersten Werken
scheinbar schamlos ihr eigenwilliges Wesen, zeigt ihre intimsten Phantasien und
schafft damit unbeabsichtigt ihr Image als „Femme fatal“.
I was a verry sadistic dancteacher
Nach wenigen Jahren wird ihr ihr selbst gewähltes
Erscheinungsbild zur einengenden Last. Sie entschliesst sich zur endgültigen
Demontage ihres Images durch Multiplikation. In der Performance „The artist is
present“ stylt sie 20 Frauen zu Manon-Multiples. In der Fotoserie steigt sie im
Bahnhof in einen Zug und lässt die Manon-Multiples dem wegfahrenden Zug traurig
nachwinken.
La dame au crâne rasé
Um den Bruch mit ihrem Äusseren endgültig zu vollziehen,
rasiert sie sich den Schädel. Sie geht nach Paris, wo sie denkt, dass niemand
sie kennt. Doch schon am ersten Tag sieht sie in einer Buchhandlung grosse
Werbeplakate für ihr Fotobuch „Manon, Identität, Selbstdarstellung und
Image“.
In Paris entsteht unter äusserst bescheidenen Bedingungen
eines ihrer wichtigsten Fotowerke „La dame au crâne rasé“. Kahl rasiert steht
sie auf dem Dach, mit dem Spiegel in ihrer Hand, mit dem sie ihren Ausdruck
ständig kontrolliert und mit dem sie einen präzisen Schatten auf ihr Gesicht
wirft.
Manon mit L(i)ebenskünstlerin Susi Wyss
Walter Binder, ehemaliger Direktor der Stiftung für
Fotografie, reiht die Fotoserie „La dame au crâne rasé“ unter die wichtigsten
schweizerischen Fotoarbeiten des 20. Jahrhunderts ein.
Suche nach neuer Identität
Mit nachwachsendem Haar misst sie sich in „Das
Elektrokardiogramm“ neu aus. Sie fühlt sich in eine unlösbare mathematische
Formel eingezwängt. Sie versucht die Einengung ihres Lebensraumes aufzuhalten.
Mit der letzten Kraft der Verzweiflung durchbricht sie die kleinkarierte Wand
ihrer aufgemalten Lebensperspektive.
Manon erstmals in Farbe
Knapp zehn Jahre nach ihrer grossen Ausstellung im
Kunsthaus Zürich stellt das Kunsthaus St. Gallen ihre neuste Fotoarbeit
„Künstlereingang“ aus. In der Ausstellung proklamiert “die kleine Frau in
grossen Bildern“ (SFDRS) „il momento della verità“. Im Gegensatz zum „Elektro-Kardiogramm“,
in dem sie vom als „trompe d`oeil“ gemalten Hintergrund fast erdrückt wurde,
beherrscht sie nun die grafischen Elemente, sie hat sich selber mit dem Zirkel
bewaffnet. Ihre Ängste, Wünsche, ihr Leid und ihr Glück hat sie geordnet in
transparente Schachteln verschlossen, mit denen sie tänzerisch spielt. Nur die
Schachtel der Zeit ist offen....
Mit der Bildinschrift „Sie war nicht mehr ganz jung aber
auch noch nicht alt als es geschah“ drückt die alterslos scheinende Künstlerin
zum ersten Mal Angst vor dem Älterwerden aus.
Forever young
Diese Fotoserie ist der letzte vergebliche Versuch, ihr Bild zu konservieren. Sie stülpt sich einen Frischhalte-Beutel über den Kopf, zwingt den Schädel in Schraubzwingen, mit Massstab und Zirkel baut sie eine Maske als „Gesichtsprothese“ und wirft sich in den Abfalleimer, bevor sie ihr Gesicht ungeschminkt auf einer künstlichen Hand aufstützt.
«Meine Kindheit war überschattet von einer schönen Mutter,
die ihre Tochter — sommersprossig und weisshäutig — als „hässliches Mädchen„ heftig
ablehnte. Das einzige, was sie gelten liess, war mein Haar („La dame au cràne
rasé„!). Da wurde mir also ein für allemal klargemacht, dass Aufmerksamkeit und
Liebe nur durch Schönheit zu erlangen ist.
Meine Mutter hatte, wie viele Frauen, dieses patriarchale
Diktat an das weibliche Geschlecht unbesehen verinnerlicht und an ihre Tochter
weitergegeben. Ich fühlte mich wertlos und gedemütigt. Damit wurde wohl ein
Grundstein gelegt zu meiner späteren Themenwahl.
Mit 18 Jahren fürchtete ich mich bereits davor, durch das
Alter dieses einzige Kapital, das uns Frauen offenbar zugestanden wurde (wird?)
zu verlieren. Wenn ein junger Mann mich abwies, führte ich dies auf fehlende
Attraktivität zurück. Das ging soweit, dass ich mir eines Tages in ohnmächtiger
Wut mit einer spitzen Schere das Gesicht zerschnitt.»
Einst war sie Miss Rimini
„Nein, ich möchte die Zeit nicht zurückdrehen, aber ich
möchte sie
anhalten, und zwar heute, sofort und mit grosser
Dringlichkeit."
Dieser Wunsch von Manon aus der Zeit von „Forever young“ hat sich nicht erfüllt. Sie ist nun gezwungen, sich ein Bild des Älter-Werdens zu machen. Die neuste Serie von Selbstportraits, die sie in möglichen Lebensumständen als alte Frau zeigt wurde von der Kunstkommission des Kt. Zürich kurz nach der Vernissage vollständig aufgekauft.
Weitere Fotos «Einst war sie Miss Rimini» http://www.manon.ch/einst-war-sie-miss-rimini-2003
Foto-Werke von Manon
http://www.manon.ch/Fotoarbeiten
Installationen http://www.manon.ch/installationen
Kunstbücher http://www.manon.ch/bcher
Ausstellungen 2021-2022 http://www.manon.ch/ausstellungen-1
Internetseite Manon: http://www.manon.ch/
Entschuldigt allfällige Orthographie Fehler, ich bin seit Karl dem Grossen der schwerste Legastheniker der Geschichte. Auch die Komasetzung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Kontakt alexander@jent.ch